2016/04/21

Ganz ohne Filter.

Es ist 1:38 Uhr und ich sitze mit der einen Po-Hälfte auf der abgerutschten Bergspitze des Wäscheberges. Und ich könnte heulen. Nein. Nicht weinen. Heulen! Rotz und Wasser!


 Es ist 1:38 Uhr und der Haushalt ist nicht im geringsten gemacht. Und das, obwohl ich quasi Vorzeigekinder beim Thema einschlafen und durchschlafen habe. Meine Sofadecke hat ein Loch, die Regal passen nicht zusammen und ich habe immernoch keinen Schreibtisch, an dem ich mich wohl fühle.


 Ich kann das einfach  nicht. Haushalt tipptopp, Kinder tipptopp, innere Ausgeglichenheit ganz schwubidu und gesellschaftlich auch vorne mit dabei - das ist, so ziehe ich nach knapp 5,5 Jahren Mutterdasein Bilanz, einfach nicht mein Ding. Zeitmanagement ist nicht mein Freund. Chaos ein Dauergast. Was ich mir nur dachte, wie das mal alles zu wuppen sei. Wie blauäugig ich doch war und was für eine Ehrfurcht ich mittlerweile für das Schaffen meiner alleinerziehenden Mutter entwickelt habe. Wie sie das nur gewuppt hat. Mit drei Kindern. Und ich heule weiter.


 Social Media ist Fluch und Segen. Tagtäglich verliebe ich mich auf Instagram in wunderschöne "Interior"  und "Familienglück" Bilder in pastell und Gingham. Tagtäglich huscht da ein Lächeln über meine Lippen und ich freue mich, wie schön es andere haben. Und dann hebe ich meinen Blick, lasse ihn nur ganz knapp über all die Unordnung, das Vollgestopfte und unbesiegbare Chaos hier schweifen und seufze innerlich tief. Nein. Hier ist es definitiv nicht so schön und pastellig. Filter machen die Welt zwar schöner, aber mein Chaos verschwindet dadurch nicht. Und diese 78qm werden dadurch einfach nicht übersichtlicher oder geräumiger.


Ich versuche seit Jahren mich damit abzufinden, dass ich niemals so eine akribische Hausfrau sein werde. Ich mag es, wenn es fast bis zum Platzen vollgestopft ist, nur um es dann in einem Anflug von Wahn picobello aufzuräumen. Schon immer. Ich staple gerne hohe Türme aus Altpapier, Briefen, Zeitschriften, Unterlagen und freue mich um so mehr, wenn ich sie dann in einer durch-zechten Nacht bezwungen habe. Jedes mal sage ich mir ,Diesmal nicht! Diesmal räumst du es gleich auf und wartest nicht wieder bis zum nächsten Nervenzusammenbruch!' und tue es dann doch. Ich warte so lange, bis ich fast nicht mehr atmen kann vor lauter Druck. Damit kann ich grundsätzlich umgehen. Der Haken an der Sache: Ich habe mittlerweile zwei Kinder und gelte als Erwachsen. Durchzechte Nächte sind kräftezehrender denn je und ich büße sie über Wochen. Ich habe neben meinem sichtbaren Chaos zwei wundervolle Kinder, denen ich wesentlich mehr Zeit schenke, als ich es je für den Haushalt aufbringen wollen würde. Lieber basteln wir auf einen ungeordneten Tisch voller Kram oder schieben Zeug am Boden zur Seite um dort Vulkanberge oder Raumschiffe zu bauen. Das ist zu 80% auch wirklich in Ordnung, diese Unordnung. 

Und dann kommt der Rappel, die Wut auf sich selbst, das Unverständnis, wie es andere offenkundig besser hinbekommen und letztlich ist da dann auch Neid auf so ein Pastell-Leben. Was um so aberwitziger erscheint, weil mir vollkommen klar ist, dass ich andere Leben nur als Ausschnitt miterlebe. Immer und immer wieder nur Momentaufnahmen. Ich weiß das. Und trotzdem falle ich unter dieser Erkenntnis in mir zusammen. 

Ich bin Mutter zweier wundervoller Kinder. Ich bin nicht gut. Ich bin nicht schlecht. Diese Wertung und dieses kategorisieren mag ich nicht. Ich bin Mutter. Punkt. Ich sehe meine Kinder gerne Lachen. Ich sehe meine Kinder gerne wachsen. Die Welt entdecken. Ich sehe aber auch mehr. Gefährliches, Dinge, die sich nicht gehören und Dinge die mir nicht gefallen. Ich habe keine Patentlösung für jedes Problem. Ich kenne keine Strategie, um nicht zu schimpfen. Ich kenne Jesper Juul nur vom Namen, habe jedoch noch nie eine Zeile von ihm gelesen. Genauso wenig wie ich sonst irgendwelche Kinder-Ratgeber kenne. Die einzigen Ratgeber, die ich gelesen habe waren Baby-Ratgeber. Über das Schlafverhalten von Babys, über Schübe. Danach habe ich aufgehört mich als Mutter weiterzubilden. Seitdem mache ich das aus dem Bauch heraus. Und das ist nicht immer gut. Das ist ebenso ein Fakt. Aus dem Bauch heraus Laut zu werden fühlt sich vom Verstand her falsch an. Ist es auch. Der Bauch gewinnt dennoch. Immer wieder mal. Ich hätte wirklich nicht gedacht, dass man zum Elterndasein eigentlich eine Grundausbildung in Psychologie und Verhaltensforschung hätte absolvieren sollen. Ich dachte sehr lange, Bauchgefühl reicht völlig aus. Aber mein Bauchgefühl macht mich im Erziehungsstil nicht rundum glücklich. Außerdem kommt es mir so vor, als hätte ich immer wieder mal eine Magenverstimmung. Sodass ich das eine oder andere Bauchgefühl überhaupt nicht zuordnen kann. Am Ende ist dann einfach alles falsch. Womit wir wieder beim Rappel wären. Wut auf mich selbst, das Unverständnis, wie es andere offenkundig besser hinbekommen und letztlich der Neid. Auf dieses Funktionieren bei anderen. Ich bin nicht gut darin, Dinge falsch zu machen. Dabei mache ich vieles Falsch. Sehr vieles sogar. Das macht mich nicht nur äußerlich klein. Das macht mir vor allem das Herz so schwer. 

Folglich bin ich auch nicht gut darin, mich um mich selbst zu kümmern. Ich gehe nicht aufs Klo, wenn ich dringend müsste, solange anderes erledigt werden muss. Ich trinke viel zu wenig, schon immer, weil es mir einfach nicht wichtig ist, meinen Körper mit ausreichend Flüssigkeit zu versorgen. Ich esse sehr vieles Ungesundes. Genau aus dem gleichen Grund. Dabei ist es mir bei meiner Familie das höchste Gut für genau das zu sorgen. Qualitativ hochwertige Nahrungsmittel. Es kümmert mich nicht, ob meine Haare gut sitzen, ob ich geschminkt bin, ob die Kleidung, die ich trage, anderen gefällt. Es stört mich nicht, wenn ich anderen nicht gefallen könnte. Aber es stört mich, dass ich mir selbst nicht so viel wert bin, um mir zu gefallen. Denn ich bin ein Genussmensch in jeder Hinsicht. Ich erfreue mich an allem, was schön ist. Ob Essen, ob Materielles, ob Gesten, ob Zwischenmenschliches. Nur kann ich mich selbst einfach nicht genießen. Ich bin mir dessen bewusst, dass das ziemlich kläglich ist. Ich gebe aber auch nicht die Hoffnung auf, mich irgendwann ich mich selbst zu verlieben. Oder wenigstens ein bisschen zu verguggen. Schließlich muss ich mit mir die meiste Zeit meines Lebens verbringen. Einengender Gedanke. Irgendwie.

Gesellschaftlich hab ich mich aktuell beim Spagat verrenkt. Arbeit und Familie sind große Herausforderungen für mich. Ich gebe ungern weniger als 100% und fühle mich durch die Arbeit, oder durch die Familie - je nachdem von welcher Seite man es betrachtet - dazu gezwungen unter 100% zu gehen. Ich kann es niemandem recht machen. Dem Arbeitgeber nicht, der gerne mehr Flexibilität hätte, der Familie nicht, die gerne mehr Familienzeit hätte. Ich schaffe es nicht, eine Routine zwischen Arbeit und Familie hineinzubringen. Und ich habe absolut keine Ahnung, wie das andere machen. Ich arbeite gerade mal popelige 65 Stunden im Monat und bin völlig überfordert, dass alles unter einen Hut zu bekommen. Womit wir wieder beim Rappel wären... 

Hallo Welt, du bist ganz schön verdreht. 

Und wenn ich mich dann Nachts aus geheult habe. Mir der Kopf pocht, die Augen brennen. Dann tapsen am nächsten Morgen zwei Paar kleine nackte Füße über das Linoleum und huschen über den Teppich zu mir aufs Sofa, geben mir ein Schmollmund und eine Zuckerschnute einen dicken, nassen Kuss, bevorzugt auf die Brille, und schauen mich vier neugierige Augen, noch etwas verschlafen, an und flüstern zwei kleine piepsige Stimmen: "Mama? Ich hab dich soooo lieb!"

Ausgeheult mit pochendem Kopf komme ich letztlich immer wieder zu dem Entschluss: Ich liebe nicht mich, aber ich liebe mein Leben. Wenn es drei von vier Personen in diesem Haushalt schaffen, über all dem hier zu stehen, dann ist das alles nur in meinem Kopf.



Minensie

2 Kommentare:

  1. Ich habe deinen Text zweimal gelesen. Und mich zum Teil sehr wiedergefunden, vor allem, was den Anspruch an sich selbst angeht. Unter perfekt ist bei mir auch nicht viel Erstrebenswertes. Und doch kommt manchmal das Leben dazwischen und zwingt mich in die Knie. Mittlerweile habe ich mich selbst ganz gut organisiert, weil ich erkannt habe, dass ich mit Routinen gut funktioniere. Die Hausarbeiten sind auf Wochentage aufgeteilt, das gibt mir Ruhe, weil ich weiß, dass alles zu seiner Zeit erledigt wird. Und dazwischen übe ich mich im Fünfe-grade-sein-lassen. Die schönen, weißen und gefilterten Instagrambilder sind für mich eine Augenweide. Aber sie bleiben, was sie sind - Ausschnitte von Fremden. Ich kann nur mein eigenes Leben leben. Und dann tu ich das lieber mit Spaß! Fühl dich unbekannterweise gedrückt, Du wuppst viel mehr als ich.

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    1. Vielen lieben Dank für deine Worte!

      Routine ist auch das, was bei mir am besten funktioniert. Ist nur leider bezüglich der Arbeit einfach nicht umsetzbar. Und somit ist Alltag nicht Alltag. Wochenende nicht Wochenende. Und man wird ja nicht jünger. Ich bin auch im Kopf nicht mehr so flexibel wie ich es gerne wäre. So ein geplanter freier Tag, der dann doch keiner ist, der wirft mich jedes Mal um viele weitere Tage zurück. Aber nun gut. Die Welt schaut ja glücklicherweise nach dem schlafen zu 99% meistens besser aus als zuvor.

      Danke dir!

      Mine

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